Entwicklung

Die Entwicklung der Schärenkreuzerbestimmungen

Im Oktober 1906 wurde auf Anregung des englischen Segelfunktionärs Brooke HeckstallSmith in London eine überarbeitete Version der Kopenhagen Regel des Dänischen Apothekers Alfred Benzon beschlossen: Die „international rule" sollte zum Januar 1908 in Kraft treten. Sie brachte verstärkt Segelfläche und Verdrängung in die Formel ein und empfahl der Yachtwelt Regatten zunächst im 5er, 6er und 8er. Viele Schweden sahen eine teure und schlechte, weil schwere Renn-klasse auf sich zu kommen. Um den kleinen Yachten etwas entgegen zu setzen, trommelte der Schwedische Seglerverband SSF im Herbst 1907 ein Kommitee zwecks Sichtung von Vorschlägen für eine neue, nationale Sonderklasse zusammen. Gesucht waren zunächst zwei Rennklassen von 30 und 50 qm Segelfläche. Einzig die „Motorisierung" der Yachten, ihre Quadratmeterzahl, sollte begrenzt werden. Im Interesse möglichst großer Regattafeider dachten die Schweden bewußt an kleine Bootstypen mit wenig Segelfläche. Als der Ausschuß am 2. und 3. November 1907 erstmals zusammensaß, wurde deutlich, wie unterschiedlich die Vorstellungen der Segler von Schwedens Ost- und Westküste waren. Auf einen Bootstyp konnte man sich nicht einigen. Immerhin tauchte während der Debatte die Bezeichnung „skärgardskryssare", Schärenkreuzer, auf. Wenigstens der Name für den nach wie vor gesuchten neuen Bootstyp war da.

Am 7.12.1907 fand die Jahreshauptversammlung des KSSS (Kungelik Svenska Segelsällskapet), der piekfeinen „Königlichen Schwedischen Segelgesellschaft", im Stockholmer Hotel Rydberg statt. Der erste Yachtclub des Königreichs wollte die Sache voranbringen und bestimmte ein neues elfköpfiges Komitee zwecks Vereinbarung von Vermessung und Bauvorschriften für die gesuchte Klasse. Professor Karl Ljungberg (für Festigkeitslehre) von der KTH (Königliche Technische Hochschule Stockholm), fünf Ingenieure (allesamt Bootskonstrukteure, darunter der berühmte Bootsbauer August Plym), ein Glasermeister und ein ziemlich gut segelnder Postbote machten sich ans Werk. Bereits im Januar 1908 lag der Vorschlag auf dem Tisch - nicht zuletzt, weil Ljungberg und andere Segler glasklare Vorstellungen von einem zeitgemäßen Regattaboot hatten. Das Prinzip:
Im wesentlichen sollte die Segelfläche fixiert werden, ergänzt von Mindestforderungen an den Bau der Boote und den Platz unter Deck. Jetzt war von sieben Klassen die Rede: 30,45, 55, 75, 95, 120 und 150qm. Der Vorschlag folgte dem Konzept Ljungbergs für clubinterne Regattaklassen des KSSS, wie er sie bereits 1902 und 1904 überlegt hatte. Am 14. Februar 1908 kamen die hochmögen-den Herren des Klubs erneut zusammen, diesmal im feinen Grand Hotel gegenüber vom Schloß.

Selbst für die von Haus aus bedächtigen Schweden sollte es eine lebhafte Sitzung werden. Die Funktionäre des KSSS fanden keinen Gefallen an großen, mehr als 55 qm am Wind tragenden Schärenkreuzern. Gegen den Willen des daraufhin geschlossen zurücktretenden Clubvorstands zog der energische Professor die Sache durch. Beim nationalen Seglertag des SSF knapp einen Monat später kam auf Wunsch der Westschweden unter anderen noch der 22 qm messende Typ hinzu. Mit diesem Kompromiß gelang es Ljungberg, auch die Westschweden für sein Konzept zu gewinnen.

So wurden am 22. Februar 1908 einige Gläser bordsvin vom Konferenztisch des Grand Hotel gehoben, Schwedens erste nationale Bootsklasse war beschlossen. Im November 1913 kam die kleinste Schärenkreuzerklasse, der 15er dazu. Die kleinen 15, 22 und 30 qm Typen wurde auch als oben offene Typen ohne Kajüte gebaut und „skärgardsbat" (Schärenboot) genannt.

Zwei Jahre später wurde aufgeräumt, der 38 und 45 in der bis heute jüngsten, der 40 qm Klasse zusammengefaßt. Seitdem gibt es neun Schärenkreuzerklassen, den 15er, 22er, 30er, 40er, 55er, 75er, 95er, 120er und 150er. Zu den Derivaten gehört der 22er des Typs „^eolus", wie er von den Westschweden speziell in Uddevalla als günstige Variante gefordert wurde, auch B 22 genannt, eine Variante davon ist der Mälar 22er, auch M 22 oder Mälarboot genannt. Ein preiswerter Binnenkreuzer aus einheimischer, günstiger Kiefer mit dünnerer Beplankung gebaut. Mit geradem statt aufwendig gekrümmt formverleimtem Mast. Der Vollständigkeit halber sei auch der Mälar 30er genannt und der Aeolus 15er. Die finnischen Segler hatten einen speziellen 22er. Er wurde nordischer oder finnischer 22er genannt. Er war bis in die 50er Jahre in ganz Skandinavien beliebt.

1916 wurde ein für den Erfolg des Bootsklasse entscheidender Beschluß gefaßt:
Die sogenannten „scantlings", die Dimensionierung der Bordwand und die Bauvorschriften wurden strenger gefaßt. Sie sind akribisch für jede Bootsklasse in Tabellen zusammengefaßt. So sollte ein 30er Schärenkreuzer beispielsweise 16 statt 14 mm starke Planken tragen. Zwar sollte die Änderung erst zum 1. Januar 1918 in Kraft treten, wurde aber bei Neubauten der damals boomenden Rennklassen prompt ausgeführt. Der Schärenkreuzer fand seine Form, wurde lang, schlank und ging mit minimalem Freibord zu Wasser. Anfang der zwanziger Jahre löste das (damals unerhört moderne) Marconirigg die Gaffelriggs der Schärenkreuzer ab. Die Yachten erhielten ihren charakteristischen, formverleimten Peitschenmast, wie er in Schweden heute noch gelegentlich zu sehen ist. Sein Top sieht tatsächlich aus wie eine vom Wind krummgewehte Antenne Damals waren die Masten 1/2 getakelt. Dieses spaddelige Schärenkreuzerrigg wurde mit einem zusätzlichen Vorstag gesichert. Es führte vom Vorschiff bis unters Top. Eine, manchmal auch zwei übereinander sitzende einarmige Jumpstagspreizen drückten das Mastprofil noch hinten und sicherten den Mast so vor dem Gegendruck des Großtuchs. Mancher dieser „Ausstellstäbe" ragte wie ein Jutbaum in der oberen Hälfte des Riggs nach vorn. So wurden damals die schlanken, hoch geschnittenen Segelprofile des Schärenkreuzers möglich.

Die Vermessung besteuerte die Länge des Bootsrumpfes nicht, sondern ließ sie zunächst unberücksichtigt. Dies ebnete die Bahn zur ungehemmten Entwicklung einer der rasantesten und bis heute elegantesten Rennklassen. Im finnischen und ostschwedischen Schärengarten war die Begeisterung für die Länge am größten. Sie nahm nach Westen hin ab. Die Finnen Gustav Estlandcr, Zake Westin und Einar Olofsson zogen die Yacht einem Expander gleich in die Länge. Die Schweden Knut Holm und Karl Einar Sjögren zogen als erste mit. In Göteborg kommentierte Konstrukteur C.O. Liljegren diese Entwicklung mit beißendem Spott.

Die spitz aus dem Wasser ragenden Überhänge erfüllen einzig den Zweck, die Wasserlinie der segelnden Yacht zu strecken, außerdem gewinnen die „rasenden Zahnstocher" ein gewisses aufrichtendes Moment über die Formstabilität des nicht in der Breite, sondern hintereinander untergebrachten Auftriebs: Ein Schärenkreuzer krängt früh, ist dann, mit seinen Flanken im Wasser, allerdings nicht mehr umzuschmeißen. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil der Länge ist die insgesamt ruhige Schwimmlage der Yacht. Sie „tanzt" nicht in der Welle, sondern hält unbeirrt mit minimalem Stampfen und Gieren einen schnurgeraden Kurs. Eine ruhig im Wasser liegende Yacht bringt ihre Segelfläche am besten zur Geltung. Wer ohne weitere Kompromisse auf solche Binsenweisheiten setzt, bekommt ein schnelles, vergnüglich zu segelndes Schiff. Unterbringen läßt sich in den Schiffsenden so gut wie nichts. Ljungberg verteidigte die Entwicklung des Schärenkreuzers beim IYRU Meeting 1919 in London: „Kriege ich ein schnelleres Boot, indem ich seine Verdrängung bei gegebener Segelfläche über eine größere Länge verteile, ist das doch eine ausgezeichnete Sache." Der 30er und 40er Schärenkreuzer wurde international anerkannt und erhielt für Antwerpen 1920 olympischen Status. Aus heutiger Sicht waren die olympischen Wettfahrten angesichts der geringen Beteiligung (7 Nationen machten die Sache in 14 verschiedenen Bootsklassen unter sich aus) eine Farce. Bei den 30 Quadratmeter Schärenkreuzern segelte der Schwede Gösta Lundquist allein und bekam so die bloße Teilnahme vergoldet. Bei den 40ern stritten sich die Schweden Tore Holm (Gold) und Gustav Svensson (Silber) um olympisches Edelmetall. Als Reaktion auf die Klassenvielfalt entschieden sich die Organisatoren der Olympischen Spiele von Paris 1924 dann für drei Klassen vor le Havre (6er und 8er) sowie die Einhand-Zwölf-Voetsjol vor Meulan.

Am 23. November 1919 wurden anläßlich des schwedischen Seglertags in Karlstadt die Scantlings nochmals angehoben. Die Bauweise des schlanken Bootsrumpfes in einheimischen, teils minderwertigen Hölzern blieb ein Thema. Außerdem wurde eine Mindestbreite eingeführt. Das sogenannte Koffermaß sollte zusätzlich ein Minimum umbauten Raums sicherstellen. Ein mittschiffs in die Spantform gedachtes Rechteck über der Wasserlinie sollte extreme Auswüchse verhindern. Das Resultat: die Finnen bauten Yachten mit minimaler Breite und „kofferförmigen", annähernd senkrecht von der Konstruktionswasserlinie bis zum Deck ragenden Bordwänden. Diese Spantform ist an alten Estlander-Schiffen heute noch zu sehen. Im Jahr darauf wurde das Koffermaß um die sogenannte Mittelbreite ergänzt. Hier werden minimale Breiten an drei Stellen des Rumpfes abgenommen. Ein 30er konnte bei 13,40 Metern Lange ganze 1,75 Meter breit sein, ein 15 Meter langer 40er kam mit 1,80 Metern Länge aus. So konnte es nicht weiter gehen. Ljungberg mußte nachbessern. Nach langer Vorbereitung machte sich ein Komitee mit den Vätern der Bootsklasse, unter anderen mit Karl Einar Sjögren und dem unermüdlichen Professor, 1925 erneut an die Verfeinerung der Schärenkreuzervermessung. Ein Korsett mit einigen, mehr miteinander in Beziehung stehenden Meßpunkten wurde über die Yacht gestülpt. Eine neue Variable, die „ideelle Länge" (Li) kam dazu. Sie steht zu anderen Variablen wie Mittelbreite, Freibord, Länge des Kiels und Verdrängung in Beziehung. Die Regel von 1925 gilt im wesentlichen bis heute. Sie wurde ergänzt um die international gültige Segelvermessung von 1930, welche die bis dahin nach oben offene Segelhöhe limitiert und die Segelfläche am Wind auf Großsegeldreieck plus 85 Prozent des Vorsegeldreiecks als 30 qm festschreibt (damit war kurioserweise der Weg frei für die überproportional großen Genuas mit dem Schothorn neben der Nock des Großbaums und den riesigen Spinnakern). 1935 schließlich wurde das Freibordminimum angehoben, 1938 nahm der populäre 22er dem 40er Schärenkreuzer den Status als internationale Bootsklasse ab. Die alten Herren des Königlichen Yachtclubs hatten - und haben bis heute - recht. Die kleinen 22 und 30 qm vermessenden Klassen machten das Rennen.







ÄLFVAN
1908
E. Salander
8,10 x 1,98 m






SSB 1914
1914
K.-E. Sjögren
9,40 x 1,80 m





S-131
KSSS 1919

1919
T. Herlin
10,20 x 1,74 m





S-44
SSB 1922
1922
T. Holm
11,75 x 1,80 m





S-73
GSS 1926
1926
G. Estlander
12,90 x 1,75 m





S-74
KSSS konsortium
1926
T. Holm
10,65 x 2,00 m





S-112
TVA SANG
1929
G. Estlander
12,00 x 2,02 m





S-171
LILL-SINGVA II
1935
E. Nilsson
13,54 x 2,24 m





S-179
RAPID
1938
H. Becker
14,60 x 2,25 m





S-187
TAIFUN
1948
K. Reimers
12,84 x 2,17 m





S-213
NELLY
1983
A. Laurin
11,95 x 2,19 m





S-222
NATT OCH DAG
1986
K. Reimers
12,05 x 2,37 m